Oh Gott… was ist passiert? Falls ihr euch fragt, was zur Hölle die letzten vier Tage los war und warum hier vier Tage nichts passiert ist, dann lasst euch meine Odyssee zurück in die #KOMMENTARSPALTE erläutern.
Vor nicht mal drei Stunden bin ich aufgewacht. In einer Mülltonne neben dem E-Werk…. nicht so eine trockene gelbe… NEIN! Eine BRAUNE! EKLIG STINKEND BRAUN! Zum Glück sind meine Klamotten nicht dreckig geworden, denn ich hatte keine an. Ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Ein Blick in die Zeitung mit der ich mich intuitiv zugedeckt hatte, verriet mir allerdings, dass es bereits Mittwoch ist… MITTWOCH???? Vor wenigen Minuten war es doch noch Freitag Abend? Nackt und mit meiner Zeitung bekleidet, dauerte es nur wenige Minuten, dass mir weimarer Architekturstudenten ein paar Euro von die Füße geworfen haben. Davon habe ich mir bei KIK 73 T-Shirts gekauft. Meine Diskussion über die Arbeitsbedingungen der aserbaidschanischen Kinder in den Fabriken fand bei der Dame an der Kasse leider keinen Anklang, aber so musste ich wenigstens nicht laufen und der Sicherheitsdienst hat mich quasi direkt zum Bäcker getragen, schüttete mir ein Glas kaltes Wasser ins Gesicht und als ich ihn bat sich kurz umzudrehen, damit ich in eins der trockenen Shirts schlüpfen könne, gab er mir eine Ohrfeige. Dadurch hatte ich plötzlich eine Eingebung… oder besser gesagt… einen zerrenden Schmerz auf dem Rücken. Was ich dort gefunden habe, hat mich erstmal sprachlos gemacht. Es war so etwas wie eine Liste:
Keine Ahnung, wie das dort hingekommen ist, aber plötzlich setzten heftige Kopfschmerzen ein und vereinzelte Bilder schossen mir ins Hirn. Ich erinnerte mich plötzlich an flackernde Lichter, Bässe, die mir das Herz wummern lassen und eine Revolution? Was? JAA! Ich konnte mich wieder erinnern. Irgendwer kam auf die Idee, ich solle regelmäßig 80er und 90er Songs spielen. ACH JA! Ich habe Musik gemacht! Juhuuu… Wir hatten eine unglaublich geile Abschlussparty. Ich habe mit meinen Lieblingssongs angefangen, als irgendwer mit seinem Backup ankam und meinte mich fragen zu müssen: „Können SIE vielleicht ein paar echte Lieder spielen?“. Zum Glück hab ich alles aufgenommen, so dass die absurdesten Songwünsche bis in die Ewigkeit festgehalten sind. ACH JA: ICH HAB ALLES AUFGENOMMEN. Ich renne also hoch ins Stellwerk. Als mich Deniz fragt, warum ich so komische Klamotten an habe, nehme ich mir kurz die Zeit um sie darüber aufzuklären, dass es Orte gibt, an denen man keine Wahl hat, welche Kleidung man trägt und, dass die Arbeitsbedingungen in den Fabriken in Aserbaidschan… Ich bekomme wieder eine Ohrfeige… ich bedanke mich kurz und renne zu meinem Tablet um zu hören was passiert ist, nachdem ich Watskeburt gespielt habe. Man hört wie ich den Bahnhof verlasse, dann heftiges Poltern… flüstern und jemand der sagt: „Straßen? Wo wir hinfahren, brauchen wir keine Strassen?“.
Als man mir den Kartoffelsack vom Kopf zieht, sehe ich einen Typen mit roter Schwimmweste und einen verrückten alten Mann. Sie erzählen mir, dass dieses Festival eine Singularität im Raum-Zeit-Kontinuum des Schultheaters ausgelöst hat. Zusammen mit den gespielten Songs der 80er und 90er hat sich also ein schwarzes Loch entwickelt, was wohl alles für immer verändern wird. Ich kneife meine Augen zusammen und nicke zustimmend, verstehe aber natürlich kein Wort. Sie zeigen mir Fotos vom Festival. Sie erzählen mir, dass Schulklassen aufgehört haben ihre Bühnenbilder auf Pappmascheteile zu zeichnen, sondern sich ganze Schränke schreinern lassen. Dass reale Thematiken wie Tod, Liebe, Zukunft, etc. plötzlich immer interessanter werden. Sie erzählen mir, dass eine Selbstreflexion bei den Schülern stattfindet und sie versuchen alltägliche Themen wie Mobbing auf der Bühne zu verarbeiten. Alte Stoffe von Shakespeare werden ganz jugendlich behandelt und die alten Märchen werden auch schon lange nicht mehr belanglos auf die Bühne gedrückt. Perfekte Stereotypen sind nicht mehr interessant, denn jeder scheint als perfekt akzeptiert zu sein, und gleichzeitig eben nicht. Dadurch ist der Druck eines Generationswechsels plötzlich nichtig geworden. Man nähert sich an und bringt sogar erwachsene Krimistoffe auf die Bühne. Man nehme sogar ganz alte Geschichten und sucht moderne, fast performative Mittel um diese interessant umzusetzen. Und am Ende sind auf der Bühne alle gleich stark, alle spielen im selben Club und sind dort mehr als willkommen.
Durch dieses Festival haben Klassen gelernt mit Kritik und Satire umzugehen, ihre Stoffe und Stücke nicht zu ernst zu nehmen und stattdessen zu hinterfragen. Sie haben verstanden, dass ein Festival mehr sein kann als einen reines Show-Off. Es gibt inzwischen jedes Jahr über 50 Bewerbungen. Der .blog ist längst kein .blog mehr sondern eine ganze Redaktion und es gibt so viele interessante Schulgruppen, dass eine Auswahl unmöglich sei. Der verrückte Alte und der Schwimmwestenjunge sagen, dass sie 2043 in der Jury seien und die Bewerbungen so qualitativ hochwertig sind, dass sie keine Auswahl treffen können. Sie sagen, sie schicken mich jetzt in die zurück in die Vergangenheit und ich soll mit der #KOMMENTARSPALTE von 2017 alles im Festival schönreden, damit es keinen Grund gibt für die Zukunft weiterzuarbeiten. Damit die Auswahl in der Zukunft einfach bleibt.
„Nö… kein Bock!“
„Wie kein Bock?“
„Mach ich nicht.“
Ich setze mich also zurück ins Auto damit mich der Irre und sein Freund wieder nach Hause bringen. Nach einem kurzen Telefonat setzen sich die beiden wieder rein. Der alte guckt grimmig und sagt mit knirschenden Zähnen: „Na gut, du Schlauberger, dann bringen wir dich mal wieder heim.“ Es klopft an die Scheibe. Ich kurbel sie runter… ja kurbel… in der Zukunft wird gekurbelt… Zwei weitere Typen in schwarzen Anzügen stehen da, setzen sich Sonnenbrillen auf und halten mir eine Art Powerbank ins Gesicht. Danach blitzt es kurz und ich erwache am oben genannten Ort. In der Mülltonne. Neben dem E-Werk. Nackt. Warum nackt? Will ich nicht wissen! Was ich aber weiß:
Wir haben alles richtig gemacht. Wenn ihr weiterarbeitet. Wenn ihr besser werdet! Wenn ihr wiederkommt!
Bis zum nächsten Jahr!